ywao ein Projekt kuratiert von Sibylle Omlin
Intervention im Schaufenster Kolinplatz 6 Zug
Juni 2008
Irene Müller: rêve, espoir, désir
Richard Tisserand, «rêve espoir désir», ein Projekt für «yes we are open»
An einer dicht befahrenen Strasse in der Zuger Altstadt prangt in einem Schaufenster ein Wasserfall. Darüber der knallige Schriftzug «rêve espoir désir», in pinkfarbenen Buchstaben auf leuchtend blauem Grund. Ein Blickfang, ein erfreulicher Störfaktor im Einerlei der Fassaden und Geschäftsauslagen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich das Bild als Hinterglas-Gemälde, das auf die Innenseite des Schaufensters gemalt ist und von dieser gleichsam gegen aussen abgedichtet wird. Richard Tisserand nimmt mit dem Bildgegenstand seines Gemäldes Bezug auf Ansichtskarten der (Schweizer) Alpenwelt, auf touristische Souvenirs von bemerkenswerten landschaftlichen Formationen. Die Traditionen der Landschaftsmalerei, die Vorstellungen von Naturromantik und der Natur als Erlebnisreservoir werden von Tisserand hier ebenso aufgegriffen wie das Kalkül von grossformatigen Werbebildern und Anzeigetafeln. Im Zusammenspiel der ungewöhnlichen, heute eher selten praktizierten Technik der Hinterglasmalerei entsteht mit «rêve espoir désir» eine Arbeit, die sich seltsam zwischen den Zeiten bewegt, an Traditionslinien anschliesst, zugleich aber mit der Aufmerksamkeitsökonomie der PassantInnen spielt.
Die Hinterglasmalerei ist für Richard Tisserand keine «neue Methode», zahlreiche seiner Landschaftsbilder sind in dieser Technik entstanden, Stadtlandschaften, aber auch Bild-Collagen, die stark vergrösserte Zeitungsinserate und Stadtansichten kombinieren. Eine der Faszinationen, die für Tisserand von dieser Technik ausgeht, ist die unmittelbare Bildwirkung, die leuchtende Farbigkeit der Hinterglasgemälde, die sich aus der Verbindung von transluzentem Farbauftrag und Durchlicht ergibt. Auf Grund der Schaufenstersituation ist es im (unbegehbaren) Raum hinter dem Bild dunkler als davor, die Farben entfalten somit eine starke Eigenfarbigkeit und leuchten im Tiefenlicht – und daraus resultiert letztlich auch die Wirkung des leuchtenden Gemäldes. Ein anderer Faktor, der für den Künstler diese Art der Malerei interessant macht, ist das Umdenken während des Entstehungsprozesses. Da das Bild hinter der Glasscheibe gemalt wird, wird es gewissermassen von der Bildoberfläche aus aufgebaut. Das heisst, dass die Farbsetzungen und Elemente, die im Gemälde ganz «vorne» liegen, zuerst angelegt werden, und der Malprozess dann in den Bildhintergrund fortschreitet – ein vollkommen konträres Vorgehen im Vergleich zu «klassischen» Malerei. Richard Tisserand reagiert mit seiner getupften, impressionistisch wirkenden Malweise auf diese maltechnischen Anforderungen, die ihm einen minimalen, aber doch relevanten Überblick über Komposition und Ausführungsdichte im Verlauf des Malens erlaubt.
Überhaupt, das Thema der Landschaft – eine der Konstanten im Werk von Richard Tisserand. Seien es die grossformatigen, Plakat ähnlichen Bilder im öffentlich Raum um den Bodensee, seien es die aus der Erinnerung gemalten Stadtlandschaften von Paris oder die minimalistischen, farbigen Tafeln, die sich über Felder und Hügel ziehen. Topografische Gegebenheiten werden von Tisserand immer wieder auf ihre visuelle, assoziative, aber auch gesellschaftspolitische Wirkung hin untersucht. Denn wenn sich bei «rêve espoir désir» die PassantInnen in der Scheibe spiegeln und sich gewissermassen durch ihre Anwesenheit ins Bild einschreiben, dann sind Fernweh, Sehnsuchtsmomente und der Traum von der heilen, unversehrten Natur ganz nahe – mitten in der Stadt, mitten unter uns.
Irene Müller