Der Rheinfall - ein Jahrtausende altes Naturschauspiel - liegt inzwischen durch menschliche Eingriffe nicht mehr in einer Landschaftsidylle eingebettet, sondern in einer entfremdeten kultivierten Landschaft. Durch die (...)
Der Rheinfall – ein Jahrtausende altes Naturschauspiel – liegt inzwischen durch menschliche Eingriffe nicht mehr in einer Landschaftsidylle eingebettet, sondern in einer entfremdeten kultivierten Landschaft. Durch die Gegenwartskunst wird dieses Naturereignis ideell wieder mit der es umgebenden Industrielandschaft verbunden und dadurch erneut wahrgenommen.
Richard Tisserand ist bei der Konzeption von Magic Pack seiner „Passion“, der Landschaftsmalerei treu geblieben. Wie in seinen Tafelbildern, in denen die abbildende Malerei der Landschaft mit monochromen Farbflächen einen Dialog aufnimmt, tritt diese Wasser-Licht-Skulptur in einen Dialog mit der Landschaft – nur die Umsetzung hat sich geändert; mit dem Rheinfall tritt die reale Landschaft in den Dialog mit der künstlerischen Intervention. Schon seine erste Landschafts-installation 1997 mit großen monochromen Farbtafeln am Fuße des Hohentwiels provozierte eine andere Wahrnehmung des Hausberges von Singen.
Tisserand möbliert nicht die Landschaft; er poetisiert mit monochromen Feldern die Landschaft und dies ganz im Sinne einer romantischen Kunstauffassung des neunzehnten Jahrhunderts. Unseren immer gleichen Blick auf wichtige „Naturdenkmale“, wie z.B. den Hohentwiel oder den Rheinfall erhalten durch seinen Eingriff eine völlig andere Dimension. Der Blick wird wieder zur Wahrnehmung von scheinbar Vertrautem. Unsere Natur erhält dadurch wiederum eine Chance zur Auseinandersetzung mit ihr. Mit diesem Ansatz aber führt Tisserand aus der Romantik der Landschaftsbetrachtung in die Kunstintervention des 20. Jahrhunderts und auch in den, in diesem Jahrhundert von Beuys geprägten Terminus des „erweiterten Kunstbegriffs“. Ein Begriff, der die Übertragung künstlerischer Prozesse auf außerkünstlerische Bereiche manifestiert. Dort wo der Künstler selbst die ästhetischen Grenzen der Museumspräsentation überschreitet und sich sozusagen in der Stadt und der sie umgebenden Landschaft ausbreitet, muss das Gespräch mit denen entstehen, die Gegenwartskunst als wichtigen Teil unserer heutigen Kultur begreifen, um dieses Bewusstsein in unsere Gesellschaft zu tragen und weiterzuentwickeln. Die Natur selbst, die Gespräche und Diskussionen, die Öffentlichmachung von Magic Pack sind dadurch Teil des künstlerischen Projektes.
Darin liegt für Schaffhausen und den Rheinfall eine Chance wieder neu wahrgenommen und bewusst zu werden, ähnlich der Reichstagsverhüllung durch Christo in Berlin. Der Natur wird durch diesen Eingriff nicht geschadet, sondern Form und Farbe brechen gewohnte Sehweisen auf und machen ein unserer Zeit neues adäquateres Naturerleben möglich. Sicherlich ist die Entwicklung des Projektes technisch aufwendig, rechtfertigt aber hinsichtlich der Chancen für neue innovative Begegnungen den Aufwand.
In der Arbeit Magic Pack verbinden sich wichtige kulturelle und gesellschaftliche Aspekte unserer Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst. Künstlerische Freiheit, Mäzenatentum und interdisziplinäres Zusammenwirken. Schon im Mittelalter hat Leonardo da Vinci diese Verbindung zwischen Kunst, Technik und Naturwissenschaften gelebt – warum sollten wir diesem Beispiel unter neuen Vorzeichen nicht folgen.
Thurgauer Zeitung
22.09.2013